Live-Reviews | Reload Festival - Sulingen (15.08.2024 - 17.08.2024) | Von hässlichen Gitarren, Spanferkel-Brötchen und 22 Bands in 3 Tagen.
Donnerstag
Eisen-Dieter goes Reload Vol. 11!
Anreise wie immer ohne Probleme, Bändchenausgabe ebenfalls. Auf dem Gelände angekommen erstmal Spanferkel-Brötchen zum Frühstück. Das Reload Festival 2024 könnte wahrlich schlechter beginnen. Schnell ein Festival-Shirt abgreifen und dann ab zur Plazastage ( die nun dankenswerterweise im Infield steht ), auf der Iron Walrus den Bums donnernd und bei bestem Sound eröffnen.
Stimmungstechnisch setzen danach Bokassa einen Kontrastpunkt mit ihrem Stoner Punk, der trotz düsterer Texte oft erstaunlich positiv wirkt.
Sylosis sehe ich dann eher aus Zufall, aber das nenne ich mal einen guten Zufall: der Death Metal der Briten läuft extrem gut rein und ich habe die erste Neuentdeckung des Wochenendes auf dem Zettel. Ich soll hier explizit erwähnen, dass die Gitarre sehr hässlich war.
Unprocessed haben auch o.g. Potential, muss ich mir noch mal genauer anhören. Der Auftritt an diesem Nachmittag hat auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht. Ich soll hier ebenfalls explizit erwähnen, dass die Gitarre sehr hässlich war ( Grüße gehen raus ;) ).
Die Cro-Mags haben natürlich lange nicht mehr Anspiel-Tipp- sondern Legenden-Status. Aber für eine Legende ziemlich unüblich legen die Jungs um Harley Flanagan bereits 5 Minuten vor Showbeginn los, um ihr leider relativ kurzes Set auf 45 Minuten auszudehnen. Prinzipiell geht der Soundcheck nahtlos in den Gig über, der beim Publikum sehr gut ankommt.
Walls Of Jericho haben das Reload nach nur wenigen Tönen komplett im Griff, was nicht zuletzt an der energiegeladenen Performance von Shouterin Candace Kucsulain liegt, die wie ein Flummi auf Speed über die Bühne tobt und auch auf Tuchfühlung mit dem Publikum geht. Was für eine Power! Die Band räumt gnadenlos mit Krachern wie „A Trigger Full Of Promises“ und „The American Dream“ ab. Eigentlich nicht meine Band, aber Hochachtung vor dieser Leistung.
Danach haben es Mushroomhead etwas schwer, den Stimmungspegel zu halten, ziehen aber einige Show-Register ( Blue-Man-Group-artige Drumperformance, Sänger und Sängerin auf den Händen der Zuschauer stehend im Publikum, Bandmitglieder wechseln die Instrumente, neue Bandmitglieder tauchen erst mitten im Set auf der Bühne auf ) und halten so zumindest die Spannung jederzeit aufrecht. Aber auch die Songs wie der Faith-No-More-artige Hit „Sun Doesn‘t Rise“ ( auch schon 21 Jahre alt, Wahnsinn ) ziehen die Reloader immer mehr auf die Seite dieser leicht durchgeknallten Truppe.
Emmure entlassen mich dann mit einem bockstarken Auftritt in die Nacht – die hatte ich ehrlich gesagt ebenfalls nie so recht auf dem Schirm, das hat sich hiermit auch geändert.
Leider verpasse ich Millencolin ob der sehr späten Spielzeit, kann dafür aber im eigenen Bett schlafen ;)
Freitag
Den Auftakt mit Gutalax um 9:30 Uhr verpasse ich leider ebenfalls, ich spaziere exakt zu den ersten Tönen von The Black Dahlia Murder vor die Mainstage. Die Jungs bieten das optimale Warm Up für das, was heute noch folgen soll – z.B. die nun folgenden Reload-Dauergäste Emil Bulls, die stürmisch in Sulingen begrüßt werden. Da nur 40 Minuten zur Verfügung stehen, haut die Band ein Best-of-Programm raus, bei dem nur 1 Song vom neuen Album gespielt wird – eine gute Wahl.
Vor der Bühne wird es ziemlich voll und der Auftritt gerät für die Band zu einem Heimspiel. Schön, dass am Ende noch „Worlds Apart“ gespielt wird – alle Daumen nach oben, fantastischer Gig!
Auf Thrown war ich sehr gespannt, bekomme die Band aber leider nur am Rande mit, da wieder ein Spanferkel-Brötchen her muss. Das, was ich höre, macht aber ziemlich Laune. Der Bereich vor der Bühne ist auch ziemlich voll, die Band ist derzeit schwer angesagt. In 2 Jahren sehe ich sie dann dann wahrscheinlich auf der Mainstage.
Dort spielen Paradise Lost heute ihre erste Reload-Show, was hab ich darauf gewartet. Kaum betritt die Band die Bühne, fängt es an zu regnen. Genial. Die Band spielt ein tolles Programm mit Hits wie „Say Just Words“, „As I Die“ und „One Second“, sowie dem „Smalltown Boy“-Cover gegen Ende. Bester Song war heute aber – für mich völlig überraschend - „Faith Divides Us – Death Unites Us“, der mich emotional völlig gepackt hat.
Soil haben danach prinzipiell einen schweren Stand, kaschieren das aber durch die Tatsache, dass ausschließlich Songs vom „Scars“-Album gespielt werden – eine weise Entscheidung, gehören „Breaking Me Down“, „Unreal“ und das unvermeidliche „Halo“ doch zu ihren besten und beliebtesten Songs. Ryan McCombs führt gekonnt und sympathisch durchs Programm und überzeugt – wie auch die restliche Band – mit einer tadellosen Leistung. Hat Spaß gemacht.
Clutch auf dem Reload – passt das? Die Frage erübrigt sich bereits nach wenigen Tönen. Neil Fallon ist einfach ein Sympathiebolzen und hat Sulingen schnell um den Finger gewickelt.
Ob Hatebreed auf‘s Reload passen, diese Frage muss man schon lange nicht mehr stellen. Sogar mich haben sie in den letzten Jahren vom Hater zum Bewunderer bekehrt, überspitzt gesagt. War eigentlich nie meine Band, aber vor den mittlerweile 30 Bandjahren sowie der immer noch unfassbaren Power auf der Bühne kann man nur den Hut ziehen und sagen: Fett! Bereits am Anfang werden gefühlt die größten Hits ( „This Is Now“, „Destroy Everything“, „Live For This“, „As Diehard As They Come“ ) Richtung Acker geschleudert, sogar Pyro-Effekte sind drin – die Band räumt nach allen Regeln der Kunst komplett ab. Und wie gesagt: selbst, wenn man kein Fan der Band ist, kann man dieser Leistung nur mit Hochachtung begegnen.
Zu Heaven Shall Burn könnte ich den Hatebreed-Text quasi kopieren: ebenfalls nicht unbedingt meine Band, obwohl die Jungs objektiv viel richtig machen, schon ewig unterwegs sind und live schier Unfassbares raushauen. Wenn man die Publikumsreaktionen sieht, ist das schon sehr, sehr beeindruckend. Kleiner Unterschied zu Hatebreed: Der wohl größte Hit „Endzeit“ kommt erst gegen Ende, danach folgt noch die geniale Blind-Guardian-Coverversion „Valhalla“ und ein großes Feuerwerk – das war weit mehr als ein Co-Headliner.
Korn setzen dann tatsächlich noch einen drauf und spielen phasenweise hinter einer halbtransparenten LED-Leinwand, die immer wieder hochfährt und so die Bühnenshow abwechslungsreich und spannend hält. Dazu trägt auch der grüne Glitzer-Adidas-Anzug von Jonathan Davis bei, das ist definitiv ein Hingucker. Die Jungs lassen nichts anbrennen und feuern mit „Here To Stay“, „Adidas“ und „Blind“ bereits ziemlich früh die ersten Klassiker raus. „Falling Away From Me“ und das live sehr starke „Coming Undone“ läuten dann die zweite Hälfte ein, „Shoots & Ladders“, „Twist“ und – na klar - „Freak On A Leash“ kitzeln dann noch einmal die letzten Reserven aus den Leuten heraus – es ist mittlerweile 00:30 Uhr, aber noch lange nicht Schluss, denn Zeal & Ardor verzaubern ( oder verstören ) danach noch den harten Kern, der den Weg zur Plazastage findet. Ich finde die Band super interessant und gucke mir die Show auch wirklich bis zum Schluss ( 01:30 Uhr ) an und finde die Wahl als Tagesabschluss äußerst gelungen. Beschreiben kann man das Gebotene relativ schlecht, ich empfehle aber ausdrücklich einen Konzertbesuch, um sich selbst ein Bild zu machen. Mir hat‘s sehr gefallen.
Samstag
Heavysaurus um 9:30 Uhr? Da war doch was… Stimmt, vor 2 Jahren wurde das genau so praktiziert und glücklicherweise behält das Reload Sachen, die gut laufen, bei. Heute ist der Eintritt für Familien mit kleinen Kindern frei, entsprechend groß ist der Andrang vor der Bühne. Leider regnet es immer heftiger, was sich ein wenig auf die Stimmung auswirkt. Schade, trotzdem bleibt „Kaugummi ist mega!“ ein absoluter Hit von Weltformat :D
Danach möchte ich eigentlich meine nassen Klamotten loswerden, sehe beim Vorbeigehen aber den Anfang von Ankor und bleibe dann letztendlich bis zum Schluss vor der Bühne stehen. Die katalonische Truppe liefert einen energiegeladenen und abwechslungsreichen Auftritt und überzeugt zudem mit einem enorm wuchtigen Sound. Die halbe Stunde vergeht viel zu schnell, die Jungs und Mädels ( Sängerin Jessie Williams kommt aus UK und Eleni Nota ist Griechin ) haben mir extrem gut gefallen.
Any Given Day erwischen dann eine kurze regenfreie Phase und spielen ihre Reload-Erfahrung voll aus. Die Band überzeugt auf ganzer Linie, Sänger Dennis Diehl punktet mit tollem Gesang und einer enormen Bühnenpräsenz. Teilweise erinnern die Gelsenkirchener ein wenig an Killswitch Engage ( mit Howard Jones am Mikro ).
Neaera setzen dann tatsächlich noch die Schaumkrone oben drauf: Bereits beim Opener „Armamentarium“ ( Alter! ) springt Sänger Benny Hilleke kopfüber in den Matsch und bleibt auch das restliche Konzert über hauptsächlich im Bereich vor der Bühne, wahlweise geschultert als Anführer des Circle Pits, oder auch crowdsurfenderweise Richtung Bierstand, wobei er am Ende des Sets tatsächlich zwei volle Becher Bier unfallfrei zur Bühne transportiert ( auf den Händen des Publikums wohlgemerkt ). Einfach irre der Kerl. On top sauwitzige Ansagen ( „Hier riecht‘s plötzlich nach Scheisse“ ) und die Songs – u.a. das neue „All Is Dust“ - knallen ultra brutal aus den Boxen. Die restliche Band erledigt ihren Part unspektakulär, aber extrem effizient und songdienlich – und überlässt Benny komplett den Show-Part, den er wie kein Zweiter auszufüllen vermag. Und wenn man denkt, dass man jetzt alles gesehen hat, holt er kurzerhand seine Tochter auf die Bühne ( „Die ist ein Riesen-Fan von Heavysaurus und wollte auch mal auf die Bühne“ ). Für mich zum Abschluss ( danach haue ich ab ) ein absolutes Highlight, was für eine Stimmung, was für ein Abriss. Das Wort „Rampensau“ wurde eigens für Benny Hilleke erfunden, Hands Down!
Die Organisatoren haben in diesem Jahr wieder tolle Arbeit geleistet. Für mich war der Umzug der Plazastage ins Infield der beste Move. Cool wäre es noch, wenn man 5 Minuten „Übergangsfrist“ hätte, wenn man zwischen den Bühnen hin- und herläuft, das war teilweise schon ziemlich sportlich ( besonders am Freitag ).
Weiterhin wurden schlammige Stellen auf dem Infield und auf den Campingplätzen zeitnah gestreut ( Grüße gehen raus ans Wacken, so macht man das! ).
Das Line Up war – wie eigentlich jedes Jahr – toll und relativ bunt gemischt. Generell kann man sagen, dass die Booker ein absolutes Händchen dafür haben, die derzeit angesagtesten Bands nach Sulingen zu holen ( Spiritbox, Thrown, Zeal & Ardor, letztes Jahr Sleep Token ), aber man sieht auch, dass Stammgäste wie Hatebreed, Emil Bulls oder Heaven Shall Burn alle 2, 3 Jahre gerne wiederkommen.
Das Festival wird von Jahr zu Jahr ein Stück größer, in 2024 wurden 18.000 Zuschauer gezählt, womit man zum ersten Mal bereits im Vorfeld des Festivals „Ausverkauft!“ vermelden konnte.
Ich freue mich schon auf nächstes Jahr, u.a. mit Machine Head, Gojira, Ministry und Static-X zum 20-Jahre-Jubiläum des Festivals.
Links: Reload Festival
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