Live-Reviews | Bad Religion - Bouncing Souls - Off With Their Heads - Bad Religion 30th Anniversary Tour Fall 2010 (09.10.2010 - 20.10.2010) | Zugegeben, als ambitionierter Musikjournalist hat man schon das eine oder andere Privileg, dass einem hin und wieder zuteil wird. Mal steht man auf der Gästeliste, hat mitunter Zugang zum Bachstagebereich oder man kommt relativ leicht an preiswerte Getränke.
Allerdings gibt es hin und wieder Dinge, die auch für uns nicht alltäglich sind. So hatte ich unlängst die Möglichkeit meine absolute Lieblingsband seit Jugendtagen, und das ist auch mittlerweile schon gute 20 Jahre her, ein Stück auf ihrer 30th Anniversary-Tour durch die USA zu begleiten, noch dazu mehr oder weniger als Privatmann. Wenn mir jemand 1992, als ich zum ersten Mal auf einem BAD RELIGION – Konzert war, erzählt hätte, dass ich mit denen im Jahre 2010 mal auf eine USA-Tournee gehen würde, hätte ich diskret aber doch bestimmt Meldung beim örtlichen psychiatrischen Klinikum eingereicht. Zur Krönung fahren auch noch die BOUNCING SOULS und meine gute Freunde von OFF WITH THEIR HEADS die Tour mit, letztere sind der Grund, warum ich überhaupt eine solche Chance wahrnehmen kann.
An einem Samstagmorgen geht es in aller Frühe los, Zeitverschiebung sei Dank verliere ich aber auf der 11stündigen Reise nicht allzu viel vom Tag und bin am späten Vormittag in Chicago. Nach dem ich fast 1 ½ Stunden in der Warteschlange vor der Passkontrolle verbracht habe, stellt sich heraus, dass meine lieben Freunde von OWTH es trotzdem noch nicht zum Flughafen geschafft haben. Also noch eine halbe Stunde vor dem Terminal gewartet, bis der Camper mit Anhänger, aus dem ein paar mir wohlbekannte Gestalten klettern, die doch recht angeschlagen aussehen, kein Wunder gestern Abend war Riot Fest, vorfährt, um mich aufzunehmen.
Es geht nach Milwaukee, zwei Stunden Fahrt, auf der ich das jetzt schon wichtigste Souvenir der gesamten Reise in Empfang nehme: den All Access – Tourpass. Vor dem Club in der Stadt am Michigansee angekommen, klettert schon nach wenigen Minuten ein gut gelaunter Brooks Wackerman, seines Zeichens Trommler von BAD RELIGION, nebenbei noch bei TENACIOUS D und früher mal bei SUICIDAL TENDENCIES, aus dem nicht klein geratenen schwarzen Busungetüm neben uns, und begrüßt uns alle freudig per Handschlag. Das geht ja gut los.
Also rein ins „Rave“, in dem sich heraus stellt, dass unsere Veranstaltung heute Abend nicht die einzige ist in dem riesigen Gebäude. Im Untergeschoss findet eine weitere Musikveranstaltung zeitgleich statt, Teeniestar Jason Derulo plus Verstärkung soll die Herzen der örtlichen, degenerierten, weiblichen Jugend höher schlagen lassen. Im Hauptsaal im Erdgeschoss findet die Veranstaltung statt, wegen der ich hergekommen bin, im Stockwerk darüber wird eine mexikanische Hochzeit gefeiert und ganz oben ein runder Geburtstag. Als ich später einen der Securities sehe, wie er mit deutlichen Handbewegungen jedem Gast am einzigen Eingang für alle vier Veranstaltungen traumwandlerisch sicher den Weg zu der jeweils gewünschten weist, ausschließlich durch in Augenscheinnahme des Antlitzes, muss ich ihn doch mal fragen, wie er das macht. Das Geheimnis bestünde darin, antwortete er, dass er die Kategorisierung anhand der Rockform der Damenwelt vornähme. Die mit den ganz kurzen Röcken wollen zu Jason, die mit den Camouflage-Röcken zum Punkrock, die mit den Abendkleidern zur Hochzeit und die mit den mittellangen Röcken zum Geburtstag. Die dazugehörigen Kerle würden eh treudoof folgen. Aha! Im Laufe des Tages lerne ich noch einige Menschen von der Bad Religion-Crew und der von den Bouncing Souls kennen, lasse mich in die Geheimnisse des Merchstandes von OWTH einführen, damit ich dort im Fall der Fälle mal vertreten kann und nehme ein paar Kaltgetränke zu mir.
Um Punkt 20 Uhr beginnen OWTH ihr halbstündiges Set in ohrenbetäubender Lautstärke, die vom Mischer fast panikartig runter gepegelt wird, dass selbst das Gekreische der Jason-Jüngerinnen aus dem Untergeschoss nicht mehr zu hören ist. Und nach den etwa 50 Minuten der Bouncing Souls betreten dann endlich die Helden meiner Jugend die Bühne.
Sie sind zu Fünft, Mastermind Brett Gurewitz ist wie fast immer live nicht dabei, gerüchteweise weil er soviel Arbeit mit seinem Epitaph-Label hat, andere Gerüchte wiederum besagen, er befürchte auf Tour einen Rückfall in seine schon jahrelang überwundene Drogenkarriere, und haben einen durchaus verbesserungswürdigen Sound, für den sich Gitarrist Greg Hetson auch auf der Bühne entschuldigt. Sänger Greg Graffin hingegen, bei guter Stimme, tappt ins Fettnäpchen, indem er irgendwann im Set „Thank you Chicago“ nach einem Song ins Publikum raunt, was ungefähr so wäre, als wenn er in Bremen „Danke Hamburg“ verlauten ließe. Die Unmutsbekundungen halten sich allerdings in Grenzen, was wahrscheinlich auch am phänomenalen Set der Band liegt: Bad Religion spielen auf dieser Tour einen fast zweistündigen, absolut gelungenen Querschnitt aus 30 Jahren Bandgeschichte, wo aus jeder Epoche etwas dabei ist, nichts überstrapaziert wird, auch Songs vom erst kürzlich erschienen 15. Studioalbum „“The Dissent of Man“ Platz finden und sich Hit an Hit reiht. Sicher kann man es nach so langer Zeit nicht jedem und jeder Recht machen, irgendetwas wird immer fehlen, aber bei diesem Set, dass am Ende dieses Berichts nachzulesen ist, kann sich wirklich niemand beschweren. Der Tag endet für mich reichlich müde, ich bin bei Aufsuchen meiner Nachtstatt in irgendeiner Wohnung in Milwaukee zum einen seit 33 Stunden wach, zum anderen reichlich betrunken, für OWTH - Schlagzeuger Paul endet er frustrierend, wurde ihm doch sein Handy aus dem von Securities bewachten Backstageraum geklaut.
Am nächsten Tag geht alles sehr gemächlich zu, wir haben Off und keine Eile. Gemütlich fahren wir wieder Richtung Süden nach Chicago, wo uns unterwegs ein sogenannter Hot Rod überholt, also ein mit heutiger Technik aufgemotzter Oldtimer, dessen Kennzeichen die Buchstaben SUFFER trägt, was umgehend die Scherzbolde unter den Mitreisenden zu der Vermutung anregt, Greg Graffin könnte doch mit dem Auto unterwegs sein. Seit gestern wissen wir nämlich, dass Bad Religions Sänger, der im Nebenberuf Dozent an der University of Los Angeles ist, nicht mit dem Rest seiner Band im Tourbus reist, sondern von Venue zu Venue mit Linienflügen gelangt. Auch von Chicago nach Milwaukee!! Der Herr residiert auch grundsätzlich in einem anderen Hotel als der Rest der Band, immer im örtlichen Hyatt, und hält sich nur zum eigentlichen Auftritt im jeweiligen Venue auf, zu dem er eine Viertelstunde vorher mit einem PKW gefahren wird und hinterher genauso schnell wieder abgeholt wird. Letzteres soll daran liegen, dass er einfach keine Lust hat, jeden Abend diverse Foto- und Autogrammwünsche übereuphorisierter Fans zu erfüllen, welcher Grund hinter der Fliegerei steckt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Ich selbst werde im Laufe des Tages mit den Eigenarten amerikanischer Fastfoodläden bekannt gemacht und kann im Hotel in Chicago meinen Jetleg weiter bekämpfen.
Am nächsten Morgen geht es bei ausgezeichnetem Wetter weiter nach Cincinnati, wo es bei Ankunft 90 Grad Fahrenheit, sprich ca. 30 Grad Celsius hat. Nicht schlecht für Mitte Oktober. Ich stelle fest, dass wir von der Metal-Kapelle GWAR, mit denen ich mal in Europa auf Tour war, verfolgt werden, die spielen für ein paar Tage immer exakt einen Tag später im gleichen Venue wie wir, versuche Kontakt mit deren Merchandiserin und ihrem Ehemann, dem Schlagzeuger der Band aufzunehmen, erreiche aber niemanden. Von einem Rundgang in die nähere Nachbarschaft des „Bogarts“ wird mir abgeraten, das könne gefährlich werden, also vertreibe ich mir die Wartezeit indem ich mich mit den Merchandise-Menschen von Bad Religion und den Bouncing Souls näher bekannt mache und mit den Technikern und einigen Bandmitgliedern der Souls schon mal ein paar Bierchen leere. Bei Veranstaltungsbeginn bin ich schon recht kommunikativ, was sich hinter dem Merchandise Stand als recht verkaufsfördernd herausstellt. Außerdem sind ja auch noch Getränke da. Wenn man in Amiland weiter nach Süden kommt, werden die Leute noch durchgeknallter habe ich den Eindruck. Nach der Show finde ich mich irgendwann in einem Außenbezirk von Cinncinati wieder, wie ich mit Ryan, Sänger und Gitarrist bei OWTH, in einer Filiale des „WAFFELHOUSE“ sitze, und wirklich eklige Sachen esse. Ryan hatte bestellt, und der macht sich seit Tagen einen Spaß daraus, mir die ekligsten Auswüchse amerikanischer Fastfoodkultur zuteil werden zu lassen.
Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass ich am nächsten Tag krank bin. Das Fieber hat mich gepackt und die gesamte Fahrt bis nach Cleveland verschlafe ich. In Cleveland spielen wir heute im House of Blues, ein Venuekonzept das von Live Nation betrieben wird und in vielen Großstädten der USA zu finden ist. Das Besondere daran wird schnell klar. Das örtliche Personal ist nicht nur überdurchschnittlich freundlich, sondern auch absolut kompetent und professionell. Hier weiß jeder was er tut, und den Bands fehlt es an nichts. Die gesamte Inneneinrichtung ist auf das Thema Rock´ N Roll ausgelegt, geschmackvoll und exklusiv eingerichtet, die Backstageräume sind halbe Turnhallen und es gibt ein Catering, dass jedem Drei-Sterne-Restaurant zur Ehre gereichen würde. Dazu liegt der Club zentral mitten in der Stadt, so dass ich die Möglichkeit habe, mit der Kamera loszuziehen und ein paar Touristenfotos zu machen. Zum Ufer des Eriesees sind es fußläufig zehn Minuten, dort befindet sich auch das Stadion, und auf dem Rückweg kaufe ich eine halbe Apotheke mit Anti-Grippe-Medizin leer. Auch die Hausangestellten und Securities scheinen im HOB noch kompetenter als anderswo, alles ist freundlich aber sehr geordnet. Die Show kann ich mir heute von einem Platz direkt neben der Bühne anschauen, Bad Religion stehen Luftlinie 5 Meter von mir und drehen den ausverkauften Laden, indem sich erstaunlich viel junges Publikum tummelt, auf links. Das Set wird noch um ein weiteres Stück des neuen Albums, „Meeting of the Minds“ erweitert, und ich bekomme mit, wie Greg Graffin mitten im Set, das Mikro noch in der Hand, plötzlich in den Backstagebereich entflüchtet, offensichtlich irgendetwas suchend, und wieder zurück auf die Bühne geht. Hinter der Bühne entsteht schlagartig hektisches Treiben, jemand rennt in Richtung des Bad Religion Backstageraumes und nach wenigen Augenblicken kommt Kathy, die Tourmanagerin von Bad Religion, zur Bühne gehetzt. Mit – Handtüchern!
Der Ablaufplan an der Tür eines jeden Backstageraumes verrät, daß Grafin heute Nacht doch mit im Bus fährt, es geht nämlich nach Kanada.
Da es für die Amis sowohl bei der Aus- als auch bei der Einreise nach und von Kanada immer einen Riesenärger gibt, wird beschlossen, dass ich besser nicht mit zu den zwei Shows nach Toronto und Montreal fahre, bevor die Probleme noch größer werden, und die Kanadier noch Arbeitspapiere von mir wollen. Ich befinde mich allerdings in guter Gesellschaft, Paul, Drummer von OWTH, darf auch nicht mit nach Kanada, Jugendsünden, und wird durch einen Ersatztrommler vertreten, und wir beide müssen gemeinsam zum nächsten Venue auf amerikanischen Boden, nach Albany, New York, gelangen. Dieser Umstand kommt Kathy zu Ohren, die nicht den gesamten Inhalt des Bad Religion Merchandise-Trucks verzollen möchte, und so kommen wir zwei Beiden zu der Ehre, die Reise nicht selbst organisieren und bezahlen zu müssen, sondern sie noch bezahlt zu kriegen, indem wir den Truck, der nicht klein ist, und in den auch augenblicklich die überschüssigen Merchandiseartikel von den Bouncing Souls und OWTH verfrachtet werden, nach Albany kutschieren.
So sitzen wir am nächsten Mittag in Erwartung einer 10stündigen Lastwagenfahrt bei bestem Wetter 1 ½ Meter über der Autobahn und rollen Richtung Osten. Ohio scheint so groß wie die Bundesrepublik zu sein und nur aus Wäldern zu bestehen, die zu dieser Jahreszeit und bei diesem Wetter allerdings atemberaubend aussehen. Wenn man hier wohnt, muß man allerdings erstmal 10 Meilen fahren, wenn man seinen unmittelbaren Nachbarn besuchen will, glaube ich. In Albany, jubiliert Paul schon seit 10 Stunden, wohnt mittlerweile einer seiner guten Kumpels aus seiner Heimatstadt San Diego, und bei dem bekämen wir Unterkunft und auch einiges an Bier serviert, und gegen 23 Uhr sind wir nur wenige Meter von unserem Ziel entfernt. Während Paul den riesigen Truck langsam durch die kleine Wohnstraße rollen lässt, schaue ich rechts und links nach der Hausnummer. Sekundenbruchteile nach dem ich mit einem Hinweis nach links „There it is“ verlauten lasse, hören wir ein lautes, unheilvolles Krachen und Knarzen über uns. Paul bringt das Fahrzeug augenblicklich zum Stehen, aber zu spät. Ein gewaltiger Ast eines Straßenrandbaumes, der flach in die dunkle Straße ragt, hat die dünne Aluminiumhaut des LKW-Koffers schon aufgeschlitzt. Paul bricht in eine Art Panik aus und es fällt mir schwer ihn zu beruhigen. Anruf bei Kathy – Gelächter!! Wir sollen das mal morgen mit der Vermietfirma regeln. Den Truck können wir sicher auf dem Hof einer Firma parken, in der Pauls Kumpel arbeitet, das Loch wird mit Planen abgedeckt.
Am nächsten Morgen reagiert der diensthabende Mensch bei der Penske - Truckvermietung zunächst nicht besonders freundlich auf unser Missgeschick und den Wunsch nach einem gleich großen Ersatzfahrzeug, das ändert sich aber schlagartig, nachdem er für 10 Minuten in seinem Büro verschwunden ist. Plötzlich ist er kackfreundlich, bietet uns sogar seine Hilfe an, und meint, es wäre ja alles nicht so schlimm, und die Versicherung würde schon zahlen. Wahrscheinlich hat der gute Mann mal gerade herausgefunden, wie viele Fahrzeuge die Produktionsfirma so pro Jahr bei seinem Unternehmen mietet, was ihn zu diesem Stimmungsumschwung bewog. Paul und ich haben also nun das Vergnügen, den Inhalt des gesamten Trucks morgens um halb Acht in einen anderen umzuladen, was uns eine Menge Schweiß und etwa 1 ½ Stunden unseres Lebens kostet. Immerhin kann ich jetzt behaupten, mal den gesamten Merchandisebestand einer Bad Religion-Tour in den eigenen Händen gehabt zu haben.
Immerhin hat uns das OWTH Tourmanagement in Person von Jenny ab heute ein Hotelzimmer in Albany gebucht, daß wir umgehend zum Duschen und Schlaf nachhholen aufsuchen. Auf dem Weg dahin passieren wir eine Eisenbahnbrücke, die einem Fahrzeug mit derselben Höhe, wie jenes dass wir gestern zerstört haben, glatt das Haupt abgeschlagen hätte, glücklicherweise ist unser neues Fahrzeug 6 Inches kleiner, und passt so gerade…
Gen Abend geht es mit Pauls Freunden ins Nachtleben von Albany, wo auf die Unmengen von Dosenbier, die zuvor bei denen zuhause parallel zur Betrachtung des Horror Blockbusters „Thankskilling“ vernichtet wurden, noch mehr davon und einiges an Wodka gekippt wird, was mich zum torkeln und Paul zum Karaoke singen bringt. Ich wache am nächsten Morgen frierend im Wohnzimmer von Pauls Freunden auf und werde von überdimensionalen Kopfschmerzen geplagt. Heute geht nix, soviel ist klar, deshalb verzichte ich auch auf den Besuch der GWAR-Show in Albany heute. Mir ist nicht so…
Am nächsten Morgen müssen wir schon um 9 Uhr am Venue in Albany sein, die Bad Religion-Leute brauchen den Truck. Zu unserer großen Freude taucht nur Tyron, der eigentliche Truckfahrer auf, dem wir dann auch gleich helfen dürfen, das gesamte Bad Religion Equipment von einem auf den anderen Truck zu hieven. Jetzt kann ich auch behaupten, schon mal das gesamte Bad Religion Equipment, jede Gitarre und jeden Verstärker, in der Hand gehabt zu haben. Außerdem, einen dauerhaften Rückenschaden mein Eigen zu nennen. Zurück ins Hotel, schlafen. Als wir nachmittags wieder am Venue ankommen, werden wir zunächst ins Büro von Kathy zitiert. Mit ernster Miene und in Begleitung zweier Techniker empfängt sie uns, erzählt was von 500 Dollar Selbstbeteiligung, und das sie das gerade mal so hingebogen hat, ehe sie und die beiden Jungs in prustendes Gelächter ausbrechen, klar machen, dass wir nun den Rest unserer Tage damit aufgezogen werden und behaupten, eine Tour ohne zerstörten Truck wäre keine Tour und ihnen wäre so was auch schon mal passiert. Danach umarmt sie uns, bedankt sich und zahlt das versprochene Geld aus. Ach ja, fügt sie noch an, die Versicherung trägt den Schaden anstandslos.
Draußen treffe ich auf Michael, den Drummer der Bouncing Souls, der panikartig nach Paul fragt und wo denn die Bouncing Souls Merchkisten seien, die auf unserem Truck waren? Wie sich herausstellt hatte der Herr eine nicht unerhebliche Menge rauchbarer Substanzen in den Kisten versteckt, von denen er sich hauptsächlich zu ernähren pflegt…Es tauchte aber alles wieder auf.
In Kanada sei es kalt und ungemütlich gewesen berichtete mir Pete von den Souls danach, aber die Shows seien umwerfend gewesen.
Das „Northern Lights“ in Albany heute Abend ist schon etwas merkwürdig. Der Club befindet sich in einem ehemaligen Einkaufszentrum am Rande der Stadt, die Bühne steht schräg zum Publikum und rundherum ist nichts als Matsch. Im Backstageraum sind im Teppich in Form von roten Flecken noch die letzten Boten der gestrigen GWAR-Show auszumachen, und ein Teil des etwas rustikalen Publikum liefert sich mitten während der Bad Religion-Show eine amtliche Massenschlägerei mit der Security vor der Eingangstür, bis dann ein Dutzend Bullen anrücken. Trotzdem spielen OWTH eine der besten Shows, die ich je von ihnen gesehen habe, ohnehin ist der Kauf ihres jüngsten Albums „In Desolation“ außerordentlich zu empfehlen. Und das sag ich nicht, weil das Kumpels sind.
Nach einem weiteren sonntäglichen Off-Tag, an dem wir schon mal nach Massachusetts fahren, geht es danach nach Boston. Heute ist Early-Show, das heißt alles eine Stunde früher, aber wieder House of Blues. Das HOB in Boston liegt direkt gegenüber dem Boston Red Sox – Stadion, und auch wenn man wie ich von Baseball überhaupt keine Ahnung hat, und das für eine Art Brennball mit Schlagwaffen hält, kann man sich beim Rundgang ums Stadion des Eindrucks nicht erwehren, dass das hier irgendetwas mit Tradition zu tun hat. Im HOB selber ein atemberaubendes Bild. Der Saal ist dreistöckig, das Catering erneut atemberaubend, der Sound sensationell. Der Club, der früher mal „Avalon“ hieß, ist sicher der größte, den ich auf dieser Tour erleben durfte. Während ich mir die OWTH-Show mit einem Bierchen in der Hand vom Publikumsbereich aus ansehe, entsteht plötzlich Aufregung um mich alten Mann herum. Warum ich Bier trinken würde, ohne eines der Bändchen ums Handgelenk zu tragen, daß mich als mindestens 21 Jahre alt ausweist, werde ich von gleich zwei Securities gefragt, die mich gleichzeitig in eine Ecke drängen. Nach kurzem Hinweis auf meinen Backstage-Pass kippt die Stimmung aber schlagartig in peinliche Berührtheit, beide entschuldigen sich an die 50mal bei mir und wiederholen ständig wie peinlich ihnen das sei und ob ich etwas dagegen hätte mal eben hier zu warten, sie würden mal eben ein solches Bändchen holen, damit so ein Missgeschick nicht noch einmal passiere. Bitte, gerne. Die spinnen, die Amerikaner.
Während meiner obligatorischen Merchandise-Schicht während der Bouncing Souls-Show, in der ich Jenny immer ablöse, damit sie mal kurz Luft holen kann, stelle ich fest, dass mir die Menschen hier in Boston von ihrer Mentalität bisher am sympathischsten sind. Vielleicht gibt es da irgendwelche Gemeinsamkeiten im Gemüt, wenn man aus Hafenstädten kommt…
Als Jenny mich ablöst, will ich mir mal flink neues Bier aus dem Backstageraum holen, in dem ich aber auf jemanden treffe, den ich nun mal überhaupt nicht kenne. Er ist in Begleitung von seiner Freundin und Michael von den Souls und ich frage ihn sogleich wer er denn sei. Nee, wer ich denn sei, fragt er freundlich zurück. Ich erkläre, und er reicht mir die Hand. Er wär Scruffy Wallace von den Dropkick Murphys! Ich gerate leicht ins Stottern, erzähle scheinbar cool etwas von großem Fan und so, und er antwortet wie selbstverständlich, ja nächsten Sommer würden sie wieder nach Deutschland kommen, er freue sich schon, ich könne ja auch kommen, und überhaupt seine Lieblingsstadt sei München, da gäbe es so ein tollen Club. Ich verzeihe ihm diesen Fauxpas, und bitte ihn um ein gemeinsames Erinnerungsfoto.
Bad Religion spielen das gewohnte Set, ich schaue mir die Show von einem der Balkone im Backstagebereich an, aber die Menge dreht so wahnsinnig durch, wie in noch keiner Stadt zuvor. Graffin erzählt zum ersten Mal was von einsetzender Heiserkeit, zu hören ist davon allerdings noch nichts. Ich verlebe einen unglaublichen Abend an der Seite des Souls-Schlagzeugtechnikers Paul und glaube kaum, dass das noch zu steigern ist.
Am nächsten Morgen geht´s früh los, der Grund ist weniger die lange Fahrt, als vielmehr die Tatsache, dass wir auf dem Weg nach Philadelphia an New York City vorbei müssen, und mit einigem Verkehr zu rechnen haben. An Schlaf ist allerdings während der Fahrt nicht zu denken. Die Straßen in New Jersey sind dermaßen schlecht, dass man in einer Tour nur durchgeschüttelt wird. Bei der Einfahrt nach Philly, wie man da so sagt, wird auch gleich klar, was damit gemeint ist, wenn behauptet wird, mit den USA geht´s schwerstens bergab. Solch heruntergekommene Ecken habe ich selten gesehen. Auch wenn die Electric Factory, in der wir heute spielen, in Sichtweite der leuchtenden Türme von Philly downtown steht, drumherum möchte man nicht tot über´n Zaun hängen. Immerhin ermöglicht der recht beengte Parkplatz für die diversen Tourbusse und Trucks hinter dem Gebäude die häufige Begegnung mit den Herren Punkrockstars, die sich aber so starallürig gar nicht geben. Der immer gut gelaunte Jay Bentley, der auch schon mal auf ein Bierchen im Backstageraum vorbei guckt, grüßt freundlich, Brooks Wackerman sowieso, und auch die beiden Gitarristen Brian Baker und Greg Hetson ringen sich ein freundliches Kopfnicken ab. Als um kurz vor zehn Greg Graffin mit einem Handtuch und einem Ersatz-T-Shirt bewaffnet aus seinem „Taxi“ steigt und dem Hintereingang zustrebt, kommt auch von ihm ein vielsagendes Kopfnicken.
Während der Show, bei der Crowdsurfing ausdrücklich verboten ist, werde ich Zeuge des ersten crowdsurfenden Rollstuhlfahrers, den ich jemals gesehen habe, ohnehin ist das amerikanische Punkrockpublikum recht gewöhnungsbedürftig. Jede einzelne Show ist vom Veranstalter stramm durchorganisiert, es gibt jeden Abend eine Unmenge von Security-Leuten, es sind vor der Eingangstür immer zwei bis drei Polizisten anwesend und eine Viertelstunde nach dem der letzte Bad Religion-Ton verklungen ist, ist jede Halle vom Publikum anstandslos geräumt. Keine versprengten Gestalten, die noch am Tresen rumlungern und quasi rausgekehrt werden müssen, keine grölenden Teenies, die noch minutenlang vor der Bühne ausharren, in der Hoffnung irgendjemand der Angebeteten könne nochmal für ein Autogramm aus den Katakomben hervor kommen, alles sieht nach geordnetem Rückzug aus. Der wird erwartungsgemäß mit einer Unzahl von Autos angetreten, natürlich sieht man auch hin und wieder mal die eine oder andere vom Alkohol gezeichnete Person, die wird aber entweder von der Security sofort des Saales verwiesen, oder von den Kumpels so gestützt, dass möglichst keine Aufmerksamkeit erregt wird. Zu nachtschlafender Zeit nehme ich mit unserem heutigen Gastgeber und Zack und Ryan von OWTH an einem Imbiss noch die stadteigene Spezialität „Cheese-Steak“ ein, ein von italienischen Einwanderern erfundenes dönerähnliches Brötchen, in dem sich Fleisch befindet, dass von einer Unmenge von Käse garniert ist, bevor ich dem letzten Tourtag für mich entgegenschlummere.
Es geht nach New York City, und obwohl die beiden Städte gar nicht so weit voneinander entfernt sind, brauchen wir doch ein paar Stunden um zum Union Square zu gelangen, in dessen unmittelbarere Nachbarschaft sich der Club „Irving Plaza“ befindet. Zunächst werden wir Zeuge einer kapitalen Massenkarambolage auf der Gegenfahrbahn, direkt am Flughafen Newark, mit brennendem Kleinlaster und allen Schikanen, danach müssen wir einen weiten Umweg über die George-Washington-Bridge fahren, weil man uns mit dem Camper, indem man eine Propangasflasche vermutet, aus Sicherheitsgründen nicht durch die Tunnels nach Manhattan lassen will. Dennoch bleibt Zeit genug für mich einen kurzen zweistündigen Sightseeing-Streifzug an ein paar neuralgische Punkte zu unternehmen, ehe ich pünktlich zurück zur OWTH-Show im Club bin, der sich zwar in der größten Stadt befindet, in der wir bisher waren, von der Größe her aber sicherlich der Kleinste von allen ist. Mehr als 1000 Leuten passen hier ganz sicher nicht rein.
OWTH sorgen für ein ordentliches Punkrockgewitter, was sich danach ändern soll, denn die Bouncing Souls sind wie geplant für zwei Wochen aus der Tour ausgestiegen, und werden von der Reggae-Band „The Aggrolites“ ersetzt.
Nun ist grundsätzlich gegen die Band nichts einzuwenden, die sind gut, nur passen sie nicht in dieses Line-up und zu diesem Publikum. Die New Yorker quittieren das dann auch nur mit Höflichkeitsapplaus.
Nun folgt allerdings ein Bad Religion - Auftritt der besonderen Art. Die Band spielt im Laufe ihrer sechswöchigen Tour dreimal in diesem Club und hat sich deshalb gedacht, nicht jedes Mal das gleiche Set zu spielen. So spielen sie heute Abend nur Songs aus der ersten Dekade der Bandgeschichte, beim zweiten mal nur Songs aus der zweiten Dekade und beim letzten Auftritt nur Songs aus den vergangenen 10 Jahren. Schön mal wieder ein paar Gassenhauer wie „You are(the government)“, „Change of ideas“, „Voice of God is government” oder “Billy” zu hören, garniert wird das Ganze aber dennoch mit den vier aus dem „normalen“ Set gewohnten Songs vom neuen Album und einigen unvermeidlichen Tophits wie „American Jesus“ im Zugabenteil.
Zusätzlichen Unterhaltungswert liefert eine gepflegte Hauerei zwischen zwei Zuschauern und einigen Securitys, nach der Show komme ich dann in den Genuss beim Einladen im Gang einige Male an Herrn Graffin persönlich vorbeizugehen, der dort wie bestellt und nicht abgeholt auf sein Shuttlefahrzeug zum Hotel wartet und nicht so recht weiß wohin mit sich, der bandeigene Tourbus kann in New Yorks Straßen nicht vor dem Club parken und der Backstageraum ist eine bessere Besenkammer. Immerhin nickt er wieder freundlich zur Begrüßung. Die letzte Nacht verbringe ich in Queens, verabschiede mich am nächsten Mittag gebührend von meinen Freunden, und begebe mich zum Flughafen Newark am anderen Ende der Stadt. Hier muss ich mich nochmal konzentrieren und mich durch den Check-in-Dschungel bei Continental Airlines kämpfen, nee, nix mit netten Damen am Schalter, alles self-service, der entweder funktioniert – oder eben nicht. Dann muss man sehen wo man bleibt. Dann noch durch die amerikanische Sicherheitsparanoiakontrolle („Der Nächste!“), und nach weiteren 11 Stunden mit einem durch diverse geschenkte Merchandiseartikel wesentlich schwerer gewordenen Koffer zuhause angekommen. Die, ein paar Fotos auf dem eigenen Rechner, und ein neuer Tourpass erinnern noch daran. Sonst ist es, als wäre nie was gewesen…
SETLIST BAD RELIGION 30th ANNIVERSARY TOUR FALL 2010
DO WHAT YOU WANT
OUVERTURE
SINISTER ROUGE
WE´RE ONLY GONNA DIE
RECIPE FOR HATE
FLAT EARTH SOCIETY
BEFORE YOU DIE
RESIST STANCE
I WANT TO CONQUER THE WORLD
21st CENTURY DIGITAL BOY
NEW DARK AGES
THE DEVIL IN STITCHES
REQUIEM FOR DISSENT
A WALK
SUFFER
NO DIRECTION
AVALON
NO CONTROL
ATOMIC GARDEN
WRONG WAY KIDS
ALONG THE WAY
YOU
FUCK ARMAGEDDON (THIS IS HELL)
GENERATOR
AMERICAN JESUS
INFECTED
LOS ANGELES IS BURNING
SORROW
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